R. Furter u.a. (Hrsg.): Les ressources naturelles

Cover
Titel
Les ressources naturelles – Natürliche Ressourcen. Durabilité sociale et environnementale – Soziale und ökologische Nachhaltigkeit


Herausgeber
Furter, Reto; Head-König, Anne-Lise; Lorenzetti, Luigi
Reihe
Histoire des Alpes – Storia delle Alpi – Geschichte der Alpen (19)
Erschienen
Zürich 2014: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
246 S.
von
Christian Rohr, Historisches Institut, Universität Bern

Die Themenhefte der Zeitschrift «Histoire des Alpes – Storia delle Alpi – Geschichte der Alpen» haben sich seit geraumer Zeit zu wichtigen Forschungsüberblicken und -einblicken zu Aspekten der historischen Alpenforschung entwickelt. Dabei wird raditionell und sehr bewusst jeweils der gesamte Alpenraum von Slowenien bis zum frankophonen Westen und von Südbayern bis an die Ränder der norditalienischen Tiefebene vergleichend in den Blickwinkel genommen. Die Beiträge des vorliegenden Themenheftes widmen sich einem historisch wie heute hochaktuellen Teilbereich, dem Umgang mit natürlichen Ressourcen, konkret mit Weiden, Wasser, Wald und Bodenschätzen. Sie bauen auf den Präsentationen einer Tagung auf, die von 4. bis 6. Juli 2013 in Idrija und Postojna (Slowenien) stattfand.

Der erste der vier Abschnitte ist der Weidewirtschaft und ihrer Organisation gewidmet. Anne-Lise Head-König, die Doyenne der historischen Alpenforschung in der Schweiz und Mitherausgeberin des Themenbandes, gewährt zunächst in «Les ressources et les systèmes pastoraux dans les Préalpes et Alpes suisses. Une perspective de longue durée» einen vergleichenden Überblick über die unterschiedlichen in der Schweiz gebräuchlichen Weidesysteme vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Sie zeigt dabei unter anderem die unterschiedlich grosse Bedeutung der Korporationen als Weidelandbesitzer auf – von 11 Prozent im Kanton Luzern bis zu 95 Prozent im Kanton Uri (Stand 1940, S. 21, Tabelle 1). Insgesamt kommt sie zum Schluss, dass die wichtigste Konstante der Pastoralwirtschaft in den alpinen Regionen der Schweiz die Veränderung sei, und zwar hinsichtlich der Besitzverhältnisse, der Grösse und der Art der Weidenutzung, die wiederum von der Attraktivität der Produkte auf den städtischen Märkten abhing. Aleksander Panjek und Ines Beguš gehen in ihrem Beitrag «Matajur e Colovrat. Ordinamento e sostenibilità del pascolo: un confronto tra i versanti veneto e asburgico nelle Alpi Giulie in età moderna» vor allem der Frage nach, ob die unterschiedliche Höhe der Waldgrenze in den Julischen Alpen – auf der venezianischen Seite ist diese deutlich tiefer – tatsächlich primär auf den grossen Holzbedarf in Venedig und anderen Städte Venetiens zurückzuführen sei, wie dies vom slowenischen Geografen Anton Melik 1950 postuliert wurde. Die Autoren zeigen, dass die Frage der Abholzung deutlich komplexer ist, weil dabei auch lokale Holznutzung und Waldweideformen mitverantwortlich waren. Leider ist Abb. 1 auf S. 38, eine historische Karte von 1682 zu den Gemeingütern und alpinen Weiden in den Julischen Alpen, so klein wiedergegeben, dass sie als Bildquelle völlig wertlos wird. Martino Laurenti richtet in «Difendere i pascoli, difendere la comunità. Comunalizzazione dei pascoli alpini e rivolta armata nelle comunità valdesi tra Quattro e Cinquecento» seinen Blick auf die Waldensergemeinden im Piemont, insbesondere auf Angrogna (in der deutschen Zusammenfassung fälschlich als waadtländische Gemeinde Angrogne bezeichnet). Dort kam es im 15. und 16. Jahrhundert zu langjährigen Konflikten zwischen lokalen Eliten und der Obrigkeit, die schliesslich in der Aushandlung von Vereinbarungen hinsichtlich der kollektiven Nutzung der Alpweiden resultierten. Schliesslich stellt Chérie Faval in «Dal comune al pubblico, dal comune al privato. I pascoli in Valle d’Aosta tra evoluzione ed involuzione delle ‘Consorterie’» das für das Aostatal typische gemeinschaftlichkollektive Ressourcenmanagementsystem der «Consorterie» vor, das zwar zwischenzeitlich durch top-down-Regulative geschwächt wurde, in den letzten Jahrzehnten aber wieder eine Neubelebung erfuhr.

Im zweiten Teil beschäftigen sich drei Beiträge mit dem Wasser. Herbert Weigl stellt in «Wasser für die Stadt Salzburg. Vom Almkanal, von der Fürstenbrunner Wasserleitung und den Mühlen am Alterbach» auf der Basis seiner umfangreicheren Monografie zum Salzburger Wasser (gemeinsam mit Romana Ebner)1 im Überblick die Grundpfeiler der Wasserversorgung der Stadt Salzburg dar. Er spannt dabei den Bogen vom Almkanal aus dem 12. Jahrhundert bis hin zu den Anstrengungen, die Stadt im 19. Jahrhundert allseits mit sauberem Trinkwasser zu versorgen, um schweren Cholera-Epidemien wie in vielen anderen europäischen Städten vorzubeugen. Paolo Tedeschi fokussiert in «Notes sur la gestion des ressources naturelles dans les vallées de la Lombardie orientale au XIXe siècle: les eaux» auf die Verpflichtungen der Landbesitzer mit Grundstücken am Fluss, sich an den Ausgaben für den Unterhalt der Flüsse zu beteiligen und damit den Flusslauf frei von Hindernissen zu halten. So mussten Viehhalter für die Nutzung von Quellen und Bergseen eine finanzielle Abgabe leisten. Stefania Bianchi und Mark Bertogliati gehen in «‘L’acqua che corre ai mulini’. Risorse idriche tra gestione collettiva e proprietà privata nelle valli insubriche delle Alpi centrali (XIII–XIX sec.)» der Nutzung der Wasserkraft im Tessin vom Hochmittelalter bis ins 19. Jahrhundert nach. 1895 wurde dazu ein «Cadastro dei diritti d’acqua» erstellt, um die zahlreichen Formen gemeinschaftlicher und privater Wasserkraftnutzung für eine breite Palette von Gewerbe systematisch zu dokumentieren.

Im dritten Abschnitt zur Waldnutzung behandeln zunächst Gerhard Siegl und Klaus Brandstätter in «Waldnutzungskonflikte und nachhaltige Waldbewirtschaftung in Tirol vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert», wie die Landesherrn zunächst in den Jahrhunderten des Bergbaubooms (15.–16. Jahrhundert) durch Waldordnungen die Holzversorgung zu regulieren versuchten und die bäuerliche Waldnutzung nur mehr sehr eingeschränkt als Form der obrigkeitlichen Wohltätigkeit zuliessen. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich schliesslich ein nachhaltigerer Umgang mit der Ressource Holz durch. Auf die letzten 100 Jahre fokussiert Giulia Beltrametti in «Storia conflittuale di tre boschi montani (Appennino ligure, Alpi marittime, Alpi lepontine)», indem sie die unklar markierten Grenzen zwischen Privateigentum und Gemeinbesitz in den behandelten Regionen thematisiert. Im letzten Abschnitt zu Bodenschätzen arbeitet Johannes Lang in «Drei Länder – drei Strategien. Ressourcen als Mittel der Konkurrenz in Bayern, Salzburg und Berchtesgaden» die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Salzproduktion in den nur wenige Kilometer auseinanderliegenden Abbaugebieten von Hallein, Schellenberg und Reichenhall heraus. Salz wurde dabei im 16. und 17. Jahrhundert zu einem wirtschaftspolitischen Machtinstrument. Die letzten beiden Beiträge von Agnese Visconti («Il ruolo della scienza e dell’imprenditoria per la scoperta e l’utilizzo delle miniere di ferro delle montagne lombarde nel periodo dell’assolutismo asburgico») und Pierre Judet («Le système Grange. Un système de domination pour l’exploitation des ressources minières en Maurienne (Savoie) au XIXe siècle») beschäftigen sich mit der Eisengewinnung im 18. und 19. Jahrhundert und dem damit verbundenen Brennholzbedarf. Während in der Lombardei die Habsburger recht schonungslos mit den Wäldern umgingen, achtete der Familienverband der Granges in Savoyen auf eine vorausblickende Nutzung lokaler Ressourcen.

Naturgemäss müssen sich die Beiträge auf Fallstudien beschränken, die zum Teil auch einen auf regional ausgerichtete Vergleiche beinhalten. Umso mehr wäre es wünschenswert gewesen, an das Ende eine übergeordnete, gesamtalpine Synthese zu stellen, um diese Fallbeispiele besser kontextualisieren zu können. In jedem Fall aber zeigt der Band die vielen Potenziale und auch Desiderate der historischen Ressourcenforschung für den Alpenraum auf. Dass im Thema noch viel weiterer Forschungsbedarf steckt, zeigt auch der Umstand, dass das jüngst erschienene Themenheft (2019) von «Histoire des Alpes – Storia delle Alpi – Geschichte der Alpen» einem sehr verwandten Thema gewidmet ist: den kollektiven Weiden und Wäldern.

1 Romana Ebner, Herbert Weigl, Das Salzburger Wasser: Geschichte der Wasserversorgung der Stadt Salzburg, Salzburg 2014 (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 39).

Zitierweise:
Rohr, Christian: Rezension zu: Furter, Reto; Head-König, Anne-Lise; Lorenzetti, Luigi (Hg.): Les ressources naturelles. Durabilité sociale et environnementale / Natürliche Ressourcen. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit, Zürich 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 160-162. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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